Michael Mansion - Kolumne: Mansion merkt an
Was wir lieben mußten
von Werner Bräuninger
Eine Rezension von Michael Mansion

Das Szenario ist düster. Ein französischer Essayist erschießt sich vor dem Hochaltar von Notre Dame.
Der von ihm hinterlassene Abschiedsbrief enthält eine Erklärung, die von einer Auflehnung gegen ein Verbrechen spricht, welches die europäischen Völker durch andere ersetzen will.
Die zentrale Person des Romans (Tobias Fechter) versucht sich in diese Tat hineinzudenken, die immerhin an einem hoch symbolischen Ort stattfindet.

Der Autor baut dabei zugleich eine Brücke nach Japan, wo ein gewisser Mishima, der als Autor bereits mehrmals für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen war, zum Putschisten wird, um dem Tenno die ihm zustehenden Rechte zurückzugeben.

Auch diese Aktion scheitert und endet in einem spektakulären Harakiri.

Verbrannte Träume und Gegenpositionen

Tobias Fechter erscheint als ein Mann in den mittleren Jahren, der mit seinen verbrannten Träumen umgehen muss und Gegenpositionen entwickelt.

Seine Arbeit ist im kulturellen Milieu angesiedelt (Nationalarchiv), wobei er zugleich das Gefühl hat, dorthin abgeschoben zu sein.

Zwischen Loyalität und schlecht gespieltem Optimismus, begreift Fechter sich als Uniformierter ohne Uniform.

Im Umfeld einer bereits durchgesetzten geschlechtsneutralen Sprache, sieht er sich in einem Provinzialismus gefangen, der eine hochnotpeinliche Floskelei betreibt.

Seine Wohnung in Berlin-Lichterfelde ist ihm als Rückzugsort wichtig und Fechter ist eigentlich die typische Gestalt des intellektuellen Schiffbrüchigen, der den schleichenden kulturellen Verfall referiert und seine Mit- und Umwelt zunehmend als nicht mehr kompatibel begreift.

Entfremdete Lebenswirklichkeit

Heimatlosigkeit als Grundgefühl in einer Umgebung, die das Eigene nicht mehr gelten lassen will und eine moralisierende Gesinnungsdiktatur installiert.

Eine entfremdete Lebenswirklichkeit, begleitet von einer Clique höriger Jasager.

Der Autor spricht von einer Meduse, welche die Wähler legitimiert hätten und diese habe sich den Staat zur Beute gemacht.

Er beschreibt ein sich zuspitzendes Szenario, das auf einen Punkt von Unerträglichkeit zustrebt, welches zugleich einen gesellschaftlichen Kollaps beschreibt.

Eine präzise Beschimpfung

Die Dichte des Textes kann bisweilen auch als präzise Beschimpfung verstanden werden.

Von Charaktermasken ist die Rede, von Opfern eigener Wahnvorstellungen und komödiantenhaften Bauchrednern.

Fechter sieht sich selbst als geächteten Zeitgenossen, als einen Rechtsintellektuellen der auf den Index gelangt ist.

Die innere Emigration als Ort temporären Verharrens wird für ihn in seiner Wahrnehmung zur Zeugenschaft eines grauenvollen Experiments.

Dass er sich auch als „Seher“ begreift, der einen magischen Schlüssel zu vielen Geheimnissen besitzt, kann beim Leser zu einer Verunsicherung führen, da hier eine esoterische Ebene zur Geltung gelangt.

Auch der Hinweis auf seine astrologische Konstellation, will zwar für ein kämpferisches Element stehen, beansprucht aber die Ambivalenz der Person ein wenig über Gebühr.

Die Welten seiner Hausgötter

Schreiben sei das einzige was er könne, sinniert Fechter, aber er bewege sich vorerst in den Welten seiner Hausgötter Jünger und Spengler. Er schätzt auch Harry Graf Kessler, Felix Hartlaub, Sieburg, E.G. Winkler und Golo Mann. Will dieser Hinweise die intellektuelle Bandbreite der Figur Fechter begründen?

Fechter begreift sich als nicht korrumpierbar. Damit wäre er allerdings wirklich ein großer Held und er fragt sich berechtigt, ob er keinem Selbstbetrug aufsitzt.

Immerhin ist ihm klar, dass das geschriebene Wort eher keine revolutionären Umwälzungen zu erzeugen vermag. Er ist überwiegend selbstreflexiv mit sich beschäftigt.

Die Figur wird dabei über bedeutende Etappen des Romans zum alleinigen Dreh und Angelpunkt einer Selbsterzählung.

Dabei beherrscht ihn der Gedanke an Deutschland im Sinne von dessen künftiger kultureller Verortung als Folge einer als zerstörerisch wahrgenommenen Massenmigration.

Leitfaden Remigration

Hier taucht der Begriff Remigration als hoffnungsvoller Leitfaden auf.

Der Autor bemüht einen Katastrophismus durch primär muslimische Zuwanderung, während die zentrale Figur (Fechter) im Habitus einer Resignation bei zugleich zynisch-hedonistischer Lebensweise den Rausch eines lustvollen Niederganges zu leben scheint.

Das nimmt der Figur viel Kraft, zumal sie im Folgenden ja überleben und eine erhoffte Veränderung erleben will.

Der Roman wird lebendiger durch das Auftauchen anderer Personen, wie etwa den Kollegen Riad al Khalid, den der Autor auch in der Absicht einer gelungenen Integration bemüht.

Alle diese Personen verbleiben aber weitgehend in Zwiegesprächen ohne umfänglichere gesellschaftliche Interaktion, während Fechter seine Situation zunehmend als entfremdet wahrnimmt.

Es entsteht das Bild eines unerklärten (Meinungs-) Krieges, während in der Stadt auch schon mal Schüsse zu hören sind, als sei dies alltäglich geworden.

Zugleich ist da jene artifiziell aufgesetzte Dauerfröhlichkeit selbstgefälliger Selfies. Man ist cool, hip und neuerdings auch halal oder haram.

Kulturgewirr am Bahnhof Friedrichstraße in Berlin

Ein babylonisches Sprachgewirr am Berliner Bahnhof Friedrichstraße, begleitet von verschleierten Frauen und alten Männern in fremdartigen Gewändern und Kopfbedeckungen, während sich die jüngeren mit Goldkettchen, Tattoos und Baseballcap maskieren. Eine Inbesitznahme, die sich planmäßig vollzieht.

Von Rückeroberung ist die Rede und meint damit wohl ganze Stadtteile, die verloren gegangen sind.

Ab der Seite 67 (Kapitel: Die große Erinnerung) gewinnt das Buch an erzählerischer Qualität.

Es geht um die Nachbarn, die eigene Wohnung, Betrachtungen zur europäischen Kultur und es geht auch um Frauen, die mehr sein können als etwas, womit man abgeschlossen hat.

Auch erotische Spannung gelingt gelegentlich wie die Beschreibung von Alltäglichem zwischen Kaffeemaschine, Wintersonne, Schreibtisch und den schon zwei Jahre nicht mehr geputzten Fenstern.

Hier erscheint Fechter auch nicht als jemand, der mit allem abgeschlossen hat. Hochwertige Toilettenartikel und die Auswahl seiner Kleidung lassen darauf schließen.

Verbissenheit im Grundton

Der Autor will etwas loswerden, sich durch die von ihm erfundenen Personen befreien. Seine Personen verweilen aber in einer Diskurspartnerschaft und sind nicht oder kaum räumlich unterwegs und man erfährt von ihnen eigentlich nicht viel.

In ihrem Büro hören Riad und Fechter einen Schusswechsel, wie er in den Berliner Straßen alltäglich geworden ist. Man referiert derweil über Frescobaldi und andere Komponisten und erinnert sich an ein TV-Gespräch von Hannah Arendt mit Günter Gaus aus dem Jahre 1964 wie an etwas Uneinholbares in Sprache und Inhalt, während man einer Zeit konfrontiert ist, die als verkommen erlebt wird.

Eine gewisse Verbissenheit ist der Grundton dieses Romans, wobei es hier eine große Menge an interessanten kulturellen und soziologischen Betrachtungen gibt, welche die Lektüre begleiten.

Der hier Meduse genannte politisch-mediale Komplex versteht sich als Chiffre für die ewige Kanzlerin, die namentlich nicht genannt wird und erscheint als Marionette globalistisch- trilateraler Interessen ohne Anspruch auf nationale Souveränität.

Aber es kommt zum Breakpoint im Zuge einer ganzen Reihe auch militärischer Aktionen, die unterschiedliche Akteure auf den Plan rufen.

Perspektive Dystopie

Der Autor sieht für das Jahr 2025 in sämtlichen europäischen Großstädten die Dystopie eines darwinistischen Überlebenskampfes Wirklichkeit werden, aber das ist eine Utopie ohne Dialektik.

Im Roman entwirft man deshalb eine Staatsform, in der „eine völlig andere Demokratieform“ tragend sein soll.
Dabei ist dem Autor über den gesamten Text hin kein Zweifel an seinem demokratischen Anliegen nachzuweisen. Das ist mit Sicherheit für ihn keine Option.

Man fragt sich allerdings in Zeiten der Postdemokratie, ob die Antwort nicht wesentlich einfacher ausfallen könnte. Wenn die demokratischen Institutionen von einer amtierenden politischen Klasse nachhaltig beschädigt wurden, dann lassen sich solche Beschädigungen nachweisen und die Täter sind zu ermitteln.

Greift eine Regierung selbst zu Mitteln eines Staatsstreiches gegenüber dem Souverän, so genügen im Falle der BRD etwa 400 entschlossene Fallschirmjäger und die Besetzung der zentralen Sendeanstalten.

Fazit

Der Autor versucht eine Problembeschreibung, die gelegentlich etwas mystisch ausfällt und in ein symbolistisches destruktives Chaos mündet, aus dem die Ermatteten letztendlich aber doch erlöst werden können. Eine Remigration kommt in Bewegung und das System der Meduse gerät militärisch unter Druck. Letztendlich gelingt es, den Reichstag zu besetzen, während draußen noch eine Schlacht tobt. Alles wird gut!


Was wir lieben mußten

Werner Bräuninger

15 Kapitel/238 Seiten

Arnshaugk-Verlag

ISBN 978-3-95930-241-8