Sprachverbot - Faktum Magazin

Liebe – Kriterium zum Verständnis des Kindeswohls

von Horst Schmeil

Ein kluger Richter, den Namen habe ich vergessen, äußerte einmal, dass im Kindschaftsrecht der Begriff „Liebe“ nicht vorkommt. Ist das der Grund, weshalb der Begriff „Kindeswohl“ als unbestimmter Rechtsbegriff nicht definiert werden kann? Es werden alle möglichen Kriterien herangezogen, die objektiv messbar sein sollen, um den Begriff des Kindeswohls zu einer gerichtlichen Entscheidung messbar zu machen: Kontinuität, Bindungstoleranz, Förder-kompetenzen, usw. All diese Kriterien werden in Gutachten und Beschlussbegründungen für eine scheinbar objektive Entscheidung herangezogen und bis zur Unkenntlichkeit gedehnt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen; Das scheinbar Beste für das Kind im Konfliktfall zu erreichen. Mit all diesen Kriterien wird das Kind zum Objekt erklärt. Es hat keine Subjekt-stellung, solange das Kriterium Liebe nicht mit einbezogen wird. Das Kind wird damit von seiner Persönlichkeitsentwicklung abgespalten. Nur auf diese Weise kann nach messbaren Ergebnissen die Lufthoheit über den Kinderbetten durch den Staat entgegen des natürlichen Rechts auf Pflege und Erziehung durch die leiblichen Eltern gerechtfertigt werden.

Wie in der Liebe von Mann und Frau ist der Begriff „Liebe“ ein ebenso unbestimmter Begriff wie das „Kindeswohl“ im Kindschaftsrecht. Liebe ist verbunden mit der Garantenstellung, einen geliebten Menschen als Subjekt anzunehmen, als Partner oder noch intensiver als Kind. Dennoch können die Inhalte von Liebe sehr unterschiedlich sein, in jedem Fall sind sie umfassend und nicht zu messen. Das mag einer der Gründe sein, weshalb der Begriff „Liebe“ im Kindschaftsrecht keinen Platz gefunden hat.

In keinem der mir bisher vorgelegten Gutachten ist dieser Begriff jemals aufgetreten, geschweige denn als Entscheidungskriterium bei Gerichtsbeschlüssen bis hin zum BVerfG herangezogen worden. Immer waren es Kriterien, die das Kind zum Objekt herabstuften, als Spielball zwischen den gegensätzlichen Interessen zerrieb.

Im Regelfall wird ein Kind im Glauben an eine Zukunft mit großer Hoffnung in Liebe geboren. Glaube, Hoffnung und Liebe sind die tragenden Säulen menschlichen Zusammenlebens. Aber die Liebe ist die größte unter ihnen. Diese drei Kriterien sind eine der wesentlichen Grundlagen unseres Gesellschaftssystems – seit Jahrtausenden. Mit dem normierten Kindschaftsrecht aus dem Jahr 1998 fehlt in jedem Fall das wichtigste Kriterium: die Liebe. Diese kann nur zwischen Eltern und Kindern vorhanden sein, weil das genetisch festgelegt und epigenetisch beschrieben werden kann. Es kann nur durch einige ebenfalls nicht messbare Kriterien versucht werden, sich diesem Begriff „Liebe“ anzunähern. Hierzu gehört u.a. das Verbot der Folter in Art. 3 EMRK in Verbindung mit Art. 8 EMRK was in Art. 6 Abs. 2 GG als das natürliche Recht der Eltern zu Pflege und Erziehung das ihnen als besondere Pflicht garantiert und auferlegt ist, woraus jedem gemeinsamen Kind das natürliche Recht auf Pflege und Erziehung durch seine Eltern erwächst. So das BVerfG in seinem 1. Leitsatz zum Beschluss 1 BvR 1620/04 vom 012.04.2018.

Wenn dieser Begriff „Liebe“ keine Beachtung in gerichtlichen Entscheidungen findet, liegen damit zwar messbare Ergebnisse zur Beurteilung der Lebensverhältnisse des Kindes vor, die jedoch nur Rahmenbedingungen für eine kindgerechte Pflege und Erziehung darstellen können. Sie sind unbeseelt, es sind äußerliche Voraussetzungen, die mit dem gefüllt werden müssen, was das Kind braucht, um in einer gesunden Umwelt aufwachsen zu können. Ob diese Voraussetzungen ausreichen, um es als glücklichen Menschen heranwachsen zu sehen, hängt davon ab, ob das Kind von seinen Eltern geliebt wird, weil nur dadurch, trotz mancher Fehler, im Kind das Urvertrauen zu seinen Eltern und engsten Verwandten wie Geschwister und Großeltern entsteht und sich zur Grundlage seiner Subjektstellung entwickelt.

Während der Schwangerschaft werde ich Mutter oder Vater. Mit der Geburt, beim ersten Mal, wenn ich dann das Kind in den Arm nehme, hat sich bei mir im Kopf ein Schalter umgelegt: Ich bin jetzt Vater mit allen Hoffnungen und Ängsten, mit Vertrauen in die Zukunft des Kindes, in der Gemeinsamkeit der Liebe in meiner Familie, die erst durch ein Kind zur Familie und damit zum Erhalten und Gestalten der Zukunft wird. Mit der Geburt wird ein großer Teil von Freiheit der eigenen Interessen für das große Ziel der sicheren Zukunftsgestaltung verändert. Bewusst schreibe ich hier nicht, dass die eigenen Interessen aufgegeben werden, weil diese einen Menschen prägen und sie als subjektive Angebote an das Kind weitergegeben werden. In der UN-KRK ist der Begriff „die besten Interessen des Kindes“ an der Stelle benannt, die im Deutschen als „Kindeswohl“ zum unbestimmten Rechtsbegriff, also zum Mittel zum Streit und damit zur Grundlage für die materielle Grundlage für Juristen und andere Streitbegleiter in familiären Konfliktsituationen ausarten. Das Ergebnis sind ca. 200.000 Kinder, die von einem liebenden Elternteil jährlich ferngehalten werden sowie ca. 50.000 Kinder, die von ihren familiären Wurzeln abgehackt werden. Ihnen wird das wichtigste Kriterium entzogen: die Liebe ihrer Eltern.

Da sich bei derartigen Entscheidungen nachweislich die Genetik der Kinder und der Eltern negativ verändert und diese Veränderung in die nächsten Generationen weitergetragen wird, haben wir in unserem heutigen Gesellschaftsgefüge so hohe Störungswerte, dass der Streit die Gesellschaft zerstört. Es fehlt die Liebe, die nur dann gelebt werden kann, wenn sie selbst erlebt wurde und die sich dann ebenfalls in den Genen festgeschrieben hat. Nur durch die Vorbilder von Mutter und Vater ist es möglich, dass auf die Kinder übertragene Liebe erlebt, aufgesogen und festgeschrieben wird.

Liebe ist nicht messbar und unendlich unterschiedlich in seinen Inhalten, die einem Kind von seinen Eltern und seinen engsten Verwandten zur Entwicklung gegeben wird. Deshalb ist es wichtig, dass die unterschiedlichen Formen, die auch durch die Unterschiede im Verhalten von Mutter und Vater gegeben sind, dem Kind erhalten werden, wenn sich die Eltern trennen. Mann und Frau, Mutter und Vater können sich trennen, jedoch nicht von ihren Kindern. Elternteil bleibt man sein gesamtes Leben lang, als Garantie für die Kinder, die die Ahnenreihe fortsetzen. Nur wenn die übertragenen Familienerfahrungen die Grundlage für die Kernzelle der Gesellschaft als gestaltende Kraft be- und geachtet werden, stellt die Kernzelle einer Gesellschaft – die Familie – sicher, dass die gesamte Gesellschaft erhalten bleibt. Gesellschaften, in denen die Familie zur Kernzelle im Verständnis aller erklärt und gelebt wird, kann sich diese Gesellschaft erhalten. Gesellschaften, in denen die Familien zerstört werden, wo also keine Liebe als unsichtbares Band die Familie zusammenhält, zerfallen. Für den ersten Fall sind z.B. die chinesische und die jüdische zu nennen, für den zweiten das Römische Reich, wobei aus der Gegenwart auch Deutschland kurz vor dem Zerfall steht, weil die Familie systematisch zerstört wird, um materielle Interessen von einigen Wenigen zu befriedigen.

Die derzeitige Diskussion kreist auch um die Frage der Aufnahme von Grundrechten der Kinder in das Grundgesetz aufgenommen werden sollen. Die Gruppe, die das bewirken will, hat dafür bewusst das seelische Kindeswohl ausgeschlossen. Das Kind wird zum Objekt von Fremdinteressen abgewertet. Damit verliert es seine Subjektstellung. Es wird zum manipulierten Werkzeug von Interessengruppen. Es gilt nur noch die Verwertbarkeit des Menschen als Arbeitskraft für wenige. Hier ist dringend eine Umkehr der gegenwärtigen „Werte“ der neoliberalen Politik erforderlich.

Im Familienrecht und der Rechtsprechung dazu ist es deshalb erforderlich, dass als wesentliches Kriterium die Liebe eingeführt und angenommen wird. Die äußeren Bedingungen, die nicht immer für das Kind von Nutzen sind, können dann in der Weise verändert werden, dass die Familien die Unterstützung bekommen, die eine lebenswerte Entwicklung von Kindern ermöglicht. Wenn Kinder aus einer Familie gerissen und fremduntergebracht werden, beträgt der materielle Wert, der für die Familienzerstörung von der Allgemeinheit aufgebracht werden muss, ohne große Nebenkosten bis zu einer Million €. Wenn nur ein Bruchteil davon in die Infrastruktur der Familie investiert würde, könnten auch diese Familien sorgloser leben. Dafür wird jedoch kein Geld ausgegeben, weil es in den einschlägigen Gesetzen und deren Auslegungen nicht vorgesehen ist und wird, weil damit scheinbar keine Gewinne gemacht werden können. Dass jedoch auch die Ausgestaltung der Infrastruktur in unserem Land gewinnbringend sein kann, wird aus einem Grund nicht zugelassen: die Macht über die Familien. Diese Habgier auf die Seelen der Menschen ist Grund dafür, dass die Gestaltung der Liebe in Ämtern verboten ist. Entscheidungen sind nicht vom Subjektstatus der Familienmitglieder getragen, sondern von der objektdefinierten Abhängigkeit der Familien von den Entscheidungen der Amtsinhaber.

Vor vielen Jahren hörte ich mal die Erkenntnis: Recht ohne Macht ist machtlos, Macht ohne Recht ist Willkür. Die gängige Rechtsauslegung insbesondere im Familienrecht, speziell im Kindschaftsrecht nähert sich immer mehr dem zweiten Satz an.