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Schlaglichter auf die „Innere Emigration“

Nationalsozialistische Belletristik in Deutschland 1933 – 1945

von Günter Scholdt

Eine Rezension von Michael Mansion


Es gibt einen latent vorhandenen Schuldvorwurf, der sich durch die literarische Nachkriegsgeschichte und ihre Rezeption zieht, befeuert nicht zuletzt vom Kritiker-Guru Marcel Reich-Ranicki mit seiner Äußerung, die wesentliche und wesentlich gute Literatur während der NS-Zeit, sei ausschließlich im Exil geschrieben worden. Der Autor, Historiker und Literaturwissenschaftler Günter Scholdt, hat Zweifel an der Apodiktik nicht nur dieser Aussage, die hier nur stellvertretend zu nennen ist.

Das umfängliche Buch hat 474 Seiten und ist untergliedert in vier Kapitel, sowie vier Untertitel, die zum Kapitel Schlüsseltexte der Inneren Emigration gehören.

Seit Jahrzehnten schon beschäftigt sich Scholdt mit Autoren, die in Deutschland geblieben waren, was wahrlich eher selten einer Option für den Nationalsozialismus geschuldet war. Nicht jede und jeder sah für sich die Möglichkeit zu emigrieren. Man brauchte Geld, Freunde im Ausland, Sprachkenntnisse, Beziehungen unterschiedlichster Art und ein Netzwerk von Verbindungen und Verlässlichkeiten. Anders ausgedrückt: Privilegien. Und wo keine unmittelbare Todesdrohung wie bei den Exilanten gegeben war, unterließ man es meist.

Der Autor stellt die Frage, ob der Vorwurf des Anpassertums umfänglich zutrifft oder ob es nicht doch einer ganzen Reihe von Autoren gelungen ist, innerhalb des engen Zensurkorsetts überzeugende humane Botschaften zu senden. Hierbei erwähnt er unter vielen anderen etwa Horst Langes Erzählband „Die Leuchtkugeln“, wo eine solche Botschaft vor allem in deutlicher Ablehnung des sog. Untermenschen-Klischees fraglos gelingt. Ähnliches gilt etwa für den Historiker und Schriftsteller Felix Hartlaub und seine bedeutende Satire: „Im Dickicht des Südostens“. Scholdt äußert sich überrascht, mit welcher philologischen Instinktlosigkeit ihr etliche Autoren und Germanisten begegnet seien. Habe doch gerade dieser Autor als sarkastischer Aufklärer mit „Im Dickicht….“ alle roten Sicherheitslinien überschritten.

Von Stefan Andres‘ „Sintflut“ über Hanns Henny Jahnns „Holzschiff“ bis Gottfried Benns „Weinhaus Wolf“,widerlegten etliche im Land verbliebene Autoren die ignoranten Urteile und den Spott vieler Nachgeborener über ihre angeblich leeren Schubladen nennenswerter Produktion im „Reich“.

Die zwischen 1942 und 1944 verfassten ersten 12 Kapitel des Romans „Die Stadt hinter dem Strom“ von Hermann Kasack z.B. böten einen stilistischen Gipfel einer Literatur des Magischen Realismus.

Als prominentes Beispiel kommt Ricarda Huch mit ausgesprochen couragierten Äußerungen zu Wort. Selbst Vertreter einer moralisierenden Vergangenheitsbewältigung zollen dieser „Vorzeigedame der Inneren Emigration“ ja zuweilen Achtung. Als mutige Vertreterin freiheitsbewussten Deutschtums sei sie eine durchweg nonkonformistische Zeitzeugin. So antwortete sie als Mitglied der Preußischen Akademie der Künste deren Präsidenten Max von Schillings mit bewundernswerter Entschiedenheit, als der 1933 ein Bekenntnis zum neuen Staat verlangte.

Als Ursache für die grau in grau gezeichnete Literaturszene macht Scholdt mangelnde philologische Neugier aus. Fast alle Fachpublikationen grundiere stattdessen ein „volksdidaktischer“ Zug moralisierend ideologiekritischer Provenienz. So entdecke man meist ausschließlich das, was man schon weiß und pflichtschuldig verurteilt. Natürlich sei das Dritte Reich zunächst einmal durch rigorose oder groteske Zensur gekennzeichnet, aber eine gewisse Rivalität der zuständigen Instanzen habe für findige Kunstbeflissene immer wieder Nischen geschaffen. Und etwa die Behauptung, zwischen 1933 und 1945 habe durch den Zwangsexodus vieler Theaterschaffender nur mehr eine Theaterwüste geherrscht, entbehrt nicht der Klischees.

Wo frühere Sympathien der Verfasser für die politische Linke oder Weimarer „Dekadenz“ ruchbar wurden, machte man (zunächst einmal) kurzen Prozess. Betroffen waren Autoren wie Günther Weisenborn, Richard Huelsenbeck, Georg Kaiser, Ilse Langner, Ödön von Horváth oder Hans Henny Jahnn. Gelegentlich habe aber der Publikumsgeschmack auch gegen die Ideologie entschieden.

Neben Gerhard Hauptmanns großem Alterswerk habe man Routiniers des Boulevardtheaters wie Curt Goetz, Heinrich Spoerl und (unter Pseudonym) sogar Erich Kästner gespielt. Eine persönliche Nähe zur NSDAP oder zu ihren Repräsentanten sei für Konterbande gelegentlich sogar hilfreich gewesen.

Grundsätzlich wurde ein Repertoire aus vornehmlich heiteren Stücken geboten wie etwa August Hinrichs „Krach um Jolante“. Ein absoluter Theaterhit war Lessings „Minna von Barnhelm“, und man erfreute sich an Curt Goetz‘ „Dr. med Hiob-Pretorius“,obschon Alfred Rosenbergs Dienststelle dekretiert hatte, Goetz habe Mitgliedern der NS-Kulturgemeinde nichts zu sagen.

Gelegentlich sei die Zensur sogar lässig gehandhabt worden, wovon die Aufhebung des Schreibverbotes für Erich Kästner für das UFA-Projekt „Münchhausen“ (1943) zeuge.

Erwähnenswert seien auch die großen Publikumserfolge des späteren Widerständlers Werner von der Schulenburg und Ernst Penzoldts als gut gemachte literarische Konfektionsware.

Themenschwerpunkte seien Liebe, der Wunsch nach Frieden und zugleich ein wenig Obrigkeitsschelte gewesen.

Viele Literaten

Scholdt zitiert Gustaf Gründgens rückblickenden Kommentar zu Hans Hömbergs „Kirschen für Rom“,ein Stück über Lukullus:

Schon sein Auftritt mit dem römischen Gruß und Slang „Segen und Arbeit“ sei im Getobe untergegangen. Und zahlreiche Pointen über die „Weisheiten der Wohltaten in besetzten Ländern“ oder Lukullus‘ Abscheu, sich in einem Land zu befinden, „wo die Kinder nichts dabei finden, ihre Eltern zu verraten“. Schließlich auch der Schluss, bei dem es heißt, dass es „neben dem Kriegsruhm auch andere Lebensgüter gibt“, haben dieses Stück über seinen Anlass hinaus bekannt gemacht.

Die Lyrik der Inneren Emigration sei mit Namen wie Stefan Andres, Werner Bergengruen, Gottfried Benn, Elisabeth Langgässer, Wilhelm Lehmann, Stefan Andres oder Georg Britting hochkarätig besetzt gewesen.

Oskar Loerke und Hermann Kasack hätten bemerkenswerte klassische Warngedichte verfasst. Von retrospektiver Verzeichnung und Arroganz spreche hingegen Adornos Verdikt über Bergengruens lyrische Konzeption einer „Heilen Welt“. Dessen religiöses Hoffnungskonzept verrate keine naive Beschönigung einer bösen Zeit, sondern erweise sich in Hiobs Tradition als trotziges Glaubensbekenntnis gegenüber den Schrecken eines totalitären Umfeldes, über das der mit einer Jüdin verheiratete Autor sehr wohl Bescheid wusste.

Ähnlich ergiebig ist die Textausbeute im epischen sowie essayistischen Bereich und nicht zuletzt dem Genre des historischen Erzählens. Voraussetzung ist allerdings, dass man sich unvoreingenommen über Stil- und Wertungsfragen einer Epoche informiert, die nach eigenen poetischen Gesetzen zu beurteilen ist.
Scholdt hat eine sehr große Menge an Textmaterial zusammengetragen, was das Lesen abwechslungsreich und nicht selten vergnüglich gestaltet. Man erfährt zum eigenen Erstaunen eine ganze Menge über Autoren, die teils durch bewusste Abwertung in Vergessenheit geraten sind. Ihre Wiederentdeckung relativiert nichts, lässt ihnen aber Gerechtigkeit widerfahren, was auch einem subtilen Verständnis von Geschichte zuträglich sein kann.

Es kommt ein neuer und sehr aktueller Aspekt hinzu, den der Autor gelegentlich, wenngleich nicht aufdringlich, anklingen lässt. Dieser führt zu der Frage nach dem Zustand der erlebten Meinungsfreiheit unserer Tage.
Wo sind denn eigentlich die Führer des großen Wortes oder sind sie schon (schweigend) im Exil? Der Wunsch nach Meinungskontrolle jedenfalls erweise sich als systemübergreifend und, wir Heutigen könnten leider nicht behaupten, daraus grundsätzlich gelernt zu haben.

Eine neue „Innere Emigration“ hat sich längst etabliert und reflektiert die Reste eines widerständigen Geistes gegen den Zeitgeist. Wer aber gegen diesen anschreibt, wird zur Unperson, zum „Rechten“,dicht am Nazi oder einfach zum Troll, der sein Unwesen treibt, welches sich zwar mit subtileren Mitteln, aber ähnlich schnell beenden lässt wie durch eine Reichsschrifttumskammer.

Die entsprechenden Denunziationskampagnen betreffen restlos alle kritischen Geister, leben von begrifflichen Umdeutungen und sind ihrem Wesen nach totalitär, worüber sich vieles gerade auch in diesem Buch lernen ließe.

Günter Scholdt
Schlaglichter auf die „Innere Emigration“
Nichtnationalsozialistische Belletristik

in Deutschland 1933 – 1945

Lepanto-Verlag

29,50 €

ISBN 976-3-942605-25-0