„Der ewige Faschismus“ von Umberto Eco
Eine kritische Betrachtung
von Michael Mansion

Der 2016 in Mailand verstorbene Literat und Professor für Semiotik war ein umtriebiger Geist, sehr belesen, mehrsprachig und temperamentvoll.

Mehrfach ausgezeichnet (auch mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland), hat er kaum ein gesellschaftlich relevantes Thema ausgelassen, weshalb seine Beschäftigung mit dem Faschismus auch deshalb nicht verwundert, weil er ihn zumindest in sehr jungen Jahren in seiner speziell italienischen Formierung erlebte.

Der Hinweis auf die Form ist wichtig, weil Eco den Faschismus nicht auf eine Doktrin reduziert wissen will, sondern ihn auch als eine Rhetorik begreift.

In seinem Vorwort verweist Roberto Saviano auf eine Rhetorik des Verlustes, wenn kulturelle Identität verloren geht, so dass nur Geburt, Abstammung und Zugehörigkeit zum Mittel einer Abwehr werden, um alles andere auszuschließen.

Eco beleuchte hier – so Saviano – einen endlosen Niedergang und den Hass einer krisengeschüttelten Mittelschicht auf alle diejenigen, die sie ersetzen könnten, also auch die Immigranten,- den Wunsch, den „Auswärtigen“ als Feind zu betrachten und die Juden eigneten sich hierzu wieder mal (?) bestens.

Ein Beispiel sei die Definition von „Volk“, die gerade wieder aktuell geworden sei, welches nicht mehr aus Individuen bestehe, die ihre Delegationsmacht verlieren und zur Masse werden, wenn sie dem Willen eines Führers folgen.

Der Autoritarismus, den wir gerade erleben, habe eine neue Dynamik, eine vollkommen neue. Hass und als Empathie getarnte Scheinheiligkeit gegen besonnene Abwägung.

Wer keine Geschichte habe oder sie verleugnen will, argumentiere mit Begriffen von der Überwindung der traditionellen Kategorien.

Das sei die Verschwörung von Hohlköpfen, die sich gerne als Populisten bezeichnen lassen.

Na ja,—so gerne wohl auch nicht und wir wissen auch nicht, ob Saviano zufällig auch an die gedacht hat, die gerade die europäischen Nationalstaaten „überwinden“ wollen, begreifen diese sich doch als Speerspitze einer europäisch-progressiven Denkweise. So weit zum Vorwort.

Das kleine Buch hat 76 Seiten und gliedert sich in 5 Kapitel, sowie in eine editorische Notiz.

  1. Der ewige Faschismus
  2. Die Migration des 3. Jahrtausends
  3. Intoleranz
  4. Ein neuer Vertrag von Nimwegen
  5. Experimente in reziproker Ethnologie
  6. Editorische Notiz

„Der ewige Faschismus“ ist eine Rede, die Umberto Eco am 25.04.1995 in New York, aus Anlass der 50. Jahrestages der Befreiung Italiens vom Faschismus gehalten hatte.

Darin geht er auf seine Jugend ein, die sich zwischen den Kugeln der Faschisten und der Partisanen abgespielt habe. Er erwähnt seine ersten Kontakte mit den amerikanischen Befreiern und er beschreibt die vor allem moralische Wirkung, welche die Resistance gehabt habe.

Die Kommunisten hätten versucht, den Antifaschismus zu vereinnahmen, aber er habe sich auch an andere Farben erinnern können.

Seine Helden habe es gelegentlich durchaus auch in den falschen Farben gegeben und er merkt an, er habe sich vorstellen können, dass Eichmann „aufrichtig an seine Mission“ geglaubt habe, was schon verwundert, kam man im Eichmann-Prozess (den er gekannt haben muss) doch zu durchaus anderen Erkenntnissen.

Trotz seiner großen Beunruhigung über die europäische Nazi-Szene, etwa auch in Russland, sehe er zugleich keine Auferstehung des Faschismus in gehabt gleicher Formierung.

Hinter den unterschiedlichen Ideologien sieht er auch kulturelle Gewohnheiten.

Den inflationären Gebrauch des Faschismus-Begriffes sieht Eco kritisch.

Hitlers „Mein Kampf“ sei ein politisches Programm gewesen, eine Theorie von Rasse und Ariertum, von entarteter Kunst und vom Übermenschen.

Der Nationalsozialismus sei entschieden antichristlich und neuheidnisch, ähnlich Stalins „Diamat“ gewesen. Der italienische Faschismus dagegen philosophisch schwach und nicht durchgängig totalitär.

Eco unterstellt dem italienischen Faschismus die späthegelianische Idee vom absoluten sittlichen Staat.

Er sei die erste Rechtsdiktatur Europas gewesen mit militärischer Liturgie und Folklore. Der Faschismus als gemäßigte revolutionäre Alternative zum Kommunismus, als Collage verschiedener autoritär-politischer Ideen. So eine Art von Vereinigung von Monarchie und Revolution.

Königliche Armee und Privatmiliz bei kirchlichen Privilegien, gewaltverherrlichenden Staatszielen bei totaler Kontrolle und einem freien Markt.

In seinen Anfängen sei der italienische Faschismus sogar republikanisch gewesen.

„Nazi-Diktatur deutlich monolithischer“

Dagegen sieht Eco die Nazi-Diktatur deutlich monolithischer angelegt, mit klaren kulturellen Vorgaben etwa für zu belobigende oder „entartete“ Kunst, während in Italien der Futurismus, der Expressionismus, der Kubismus und der Surrealismus ungefährdet gewesen seien.

Viele künftige KP-Intellektuelle wurden von der Gruppi Universitari Facisti (GUF) erzogen. Es konnten neue Ideen ohne jegliche Ideologische Kontrolle zirkulieren. Sogar einen literarischen Protest im Innern habe es wohl auch deshalb gegeben. weil das Regime ihm wenig Bedeutung zollte.

Eine wirkliche Toleranz sei das jedoch nicht gewesen, denn immerhin blieb Gramsci(1) bis zu seinem Tode eingekerkert und Oppositionsführer Mateotti(2) und die Brüder Rosselli(3) wurden ermordet. Die Pressefreiheit wurde abgeschafft und die Gewerkschaften zerschlagen.

Es bildet sich ein Bild widersprüchlicher Verwirrung und Konfusion, welches den Archetypus des italienischen Faschismus beschreibt.

Ecos These lautet, dass es nur einen Nazismus gibt, da z. B. Francos katholischer Falangismus nicht heidnisch war und der italienische Faschismus nicht stringent im Sinne einer verordneten einheitlichen kulturellen Linie.

Er spricht von einem jeweils unterschiedlichen faschistischen „Spiel“ im Sinne von Wittgensteins(4) Spielbegriff, welcher unterschiedliche Aktivitäten mit lediglich gewissen „Familienähnlichkeiten“ ausfindig macht.

Das sei der Grund dafür, dass der Begriff Faschismus zu einer Sammelbezeichnung werden konnte, weil er – so Eco – auch beim Wegfall des/eines Imperialismus ein Faschismus bleibe, was auch für den Kolonialismus zutreffe.

Würde man dem italienischen Faschismus einen radikalen Antikapitalismus hinzufügen, so wäre man bei Ezra Pound(5).

Die Merkmale für einen Ur-Faschismus ließen sich nicht in ein System einordnen. Es gäbe zu viele Widersprüche und Charakteristika für andere Arten des Despotismus oder Fanatismus.

Allerdings genüge die Präsenz eines Wesensmerkmals, damit der Faschismus einen Kristallisationspunkt hat, um den herum er sich bilden kann.

Die Vermischung von Glaubens- und Kulturformen müsse dabei Widersprüche ertragen können. Dabei schließe die Berufung auf eine Ur-Wahrheit den Fortschritt des Wissens aus.

Die Nazi-Gnosis speise sich aus synkretischen und okkulten Elementen und im Falle der italienischen Rechten seien es die Schriften von Julius Evola(6) in Vermengung mit dem heiligen Gral(7), den Protokollen der Weisen von Zion(8) und der Alchemie des hl. Römischen Reiches.

Dass die italienische Rechte (um ihre Offenheit zu beweisen), ihren Kanon auch um Werke von De Maistre(9), Guénon(10) und Gramsci erweitert habe, spreche für deren Synkretismus.

So sei z.B. auch die Vermischung von Augustinus(11) und dem Stonehege-Mythos(12) ein Symptom des Ur-Faschismus.

An dieser Stelle darf man mal tief Luft holen, waren wir doch davon ausgegangen, dass der Faschismus grundsätzlich als ein Konstrukt der Moderne zu begreifen ist.

Wenn nämlich jeder mythologische Wirrwar die Basis für einen Ur-Faschismus sein kann, dann finden wir ihn vermutlich schon vor 30 000 Jahren angelegt.

Eco meint, das Lob der Moderne sei beim Nazismus nur auf einer Blut und Boden-Oberfläche angelegt.

Die Ablehnung der modernen Welt tarne sich als Verurteilung der kapitalistischen Lebensweise und richte sich in erster Linie gegen den Geist von 1789(13). Aufklärung und Vernunft würden als modernes Verderbnis gesehen und in diesem Sinne ließe sich der Faschismus als Irrationalismus definieren.

Bei Licht besehen reicht uns dann aber durchaus der Irrationalismus, weil Antikapitalismus ja nicht irrational sein muss, wenn er sich wissenschaftlich begründet. Diese Kritik muss auch nicht Anti-Aufklärerisch sein oder haben wir da etwas falsch verstanden?

Auch ein Misstrauen gegenüber der intellektuellen Welt sei stets ein Symptom des Ur-Faschismus gewesen.

Na ja—das erleben wir doch gerade bei der Denunziation deutscher Geisteswissenschaftler, wenn sie sich dem verordneten Systemkonsens verbal widersetzen.

Der von Eco zitierte Goebbels-Satz, wenn er von Kultur reden höre, zöge er den Revolver, kann nicht unterstellen, die Nazis hätten kein Interesse an Kultur gehabt und zwar keineswegs nur an einer politisch konformen. Eine solche Betrachtung ist nicht haltbar, wie sich historisch leicht belegen lässt.

Sehr wohl beschreibt dieses Zitat aber einen Gestus der Überheblichkeit gegenüber anderen Kulturen und der eigenen, nicht konformen, liberalen Kultur oder linken Intelligenz.

Wie synkretisch ist denn der aktuelle „Glaube“, dass er keine Kritik dulden will? Und wo ist denn die „moderne Kultur“, in der eine wissenschaftliche Gemeinschaft den Dissens preist?

Der Ur-Faschismus sieht – so Eco – im Dissens den Verrat.
Das müsste uns aktuell doch sehr bekannt vorkommen.

Der erste Appell einer faschistischen Bewegung richte sich immer gegen Eindringlinge, daher meint Eco, sei der Ur-Faschismus per se rassistisch.

Das hieße aber umgekehrt auch, man müsse Eindringlinge eigentlich willkommen heißen, um ihnen den Status des Eindringlings zu nehmen.

Man wird auch fragen dürfen, wie ur-faschistisch die Polen beim deutschen Einmarsch waren. Eine freundliche Übergabe von Warschau hätte viel Ungemach verhindert. Das ist zugegeben provokant, aber es ist ja von Eindringlingen die Rede!

Ob die von Eco zitierte frustrierte Mittelklasse wirklich so frustriert ist, müsste man soziologisch nachzuweisen versuchen. Ich selbst kenne eine im Pflegedienst beschäftigte schon etwas ältere Frau, die allerdings darüber frustriert ist, dass es für Menschen, die nie in die Sozialkassen gezahlt haben, eine kostenlose Rundum-Versorgung gibt, auf die sie auch noch Lebenslang Anspruch erheben können, während sie selbst Mühe hat, ihre kleine Wohnung zu finanzieren.

Die Mittelklasse hat auch eher keine Angst vor den angeführten subalternen Gruppen. Allerdings wäre die Angst ihrer Kinder berechtigt, weil der Sozialstaat nach Lage der Dinge gerade einen enormen und nicht wieder gut zu machenden Schaden erleidet, der sich für sie spürbar auswirken wird.

Dass parallel hierzu ein kriminelles Subproletariat entsteht, welches sich nicht wird integrieren lassen und für welches auch keine Arbeitsplätze in Sichtweite sind, ist ein zusätzliches Problem.

Die Proletarier, die laut Eco zum Kleinbürger mutiert sind, haben in der Regel ein recht gutes Gespür für Dinge, die nicht gut ausgehen können, denn sie denken in der Regel pragmatisch.

Sollten sie sich vielleicht mal gegen die ihnen aufgenötigten Belastungen zur Wehr setzen, muss dies nicht zugleich ein faschistischer Ur-Akt sein.

Es wäre eher so etwas wie eine demokratische Erweckung!

Auch im Nationalismus sieht Eco einen Ur-Faschismus angelegt und in ihm das Refugium der um ihre gesellschaftliche Identität beraubten.

Man darf davon ausgehen, dass es ihm hier um die kulturelle Identität geht.

Von der haben wir aber in der letzten Zeit gelegentlich hören müssen, dass es sie (außer in der Sprache) eigentlich garnicht gibt und dass sie lediglich ein Konstrukt sei. Von welcher Beraubung ist also die Rede?

Zumindest die Nationalisten können in diesem Falle keine Beraubten sein, weil sie ja (ob historisch richtig oder emotional falsch) ein nationales Erbe beschwören, welches sie benennen müssen, wenn sie es schützen wollen.

Verschwörungen ließen sich am besten mit Fremdenfeindlichkeit lancieren, aber eine solche Verschwörung müsse von innen kommen.

Daher seien die Juden gewöhnlich das beste Ziel, da sie den Vorteil hätten, gleichzeitig innen und außen zu sein.

Ich überlasse die Deutung dieser etwas kryptischen Formulierung der allgemeinen und besonderen Schriftdeutung.
Dass es erst eines oder mehrerer Feinde bedarf, um eine eigene Identität zu erlangen, ist im Hinblick auf Kritik und Diskursfähigkeit zweifellos richtig, beschreibt aber eine kulturelle Identität nicht wirklich, weil diese sich wesentlich aus dem gewohnten räumlichen Umfeld, der Sprache (und dem Dialekt), dem sog. Brauchtum, der Religion und den Bereichen Kunst und Ästhetik zusammensetzt.

Der zitierte endzeitliche „Armageddon-Komplex als ur-faschistischer Dauerkampf ums Überleben, welcher in einen Endkampf um die Weltherrschaft münden will und zur Endlösung strebt“, ist im aktuellen Europa eher nur schwer ausfindig zu machen, aber vielleicht ist er ja ein Teil von uns allen und wir haben ihn bisher bloß noch nicht bemerkt. Um so schlimmer!

Das Elitedenken sei dabei ein typischer Aspekt reaktionärer Ideologie, welches seinem Wesen nach aristokratisch sei und damit eine Verachtung der Schwachen impliziere und so könne der Ur-Faschismus nur ein „völkisches Elitedenken“ predigen.

Dem Autor dieser Zeilen ist derweil außer dem Elitedenken der amtierenden politischen Klasse kein weiteres, auch vermeintlich „völkisches“ Denken in der breiten Bevölkerung bekannt.

Die letzten Vertreter dieser Denkungsart sind längst verstorben und die Erkenntnis nationaler Besonderheiten mag kulturell bedeutsam, technisch interessant oder einfach auch nur kurios sein. Sie mit einem Ur-Faschismus in Eins setzen zu wollen, ist ein sehr seltsames Anliegen.

Die ganzen Helden der Menschheitsgeschichte waren häufig eher gequälte Kreaturen und Faschisten sicher nur in sehr seltenen Fällen.

Auch der von Eco zum Ur-Faschisten gekürte „Held“ wartet nicht immer mit Ungeduld auf seinen Tod. Sehr wohl aber der barocke Mensch zu Zeiten Johann Sebastian Bachs, denn er hat eine ganz und gar nicht heldenhafte, jedoch christlich formierte Todessehnsucht (hierzu: J. S. Bach) (14).

Nicht nur die Falangisten haben „Es lebe der Tod“ gerufen, sondern auch diejenigen, die ihm in seiner Unvermeidlichkeit angemessen begegnen wollten wie die Kämpfer in den römischen Arenen und das waren keine Ur-Faschisten.

Lebendig wird er bei Eco auch im Macho, der nicht nur die Frauen verachtet, sondern sich auch in Ablehnung aller nicht zum sog. Standard gehörenden Sexualpraktiken befindet. Weil dies „ein schwieriges Spiel“ sei, neige der Ur-Faschist zum Spiel mit Waffen, die für ihn zum Phallusersatz werden.

Diese unterstellte Frustverlagerung verwundert, denn in aller Regel kommen Machos bei den Frauen nicht zu kurz. Das hat nichts mit Ur-Faschismus zu tun, aber mit der „Ur-Szene“ (hierzu: Ernest Bornemann) (15).

Man weiß bei Umberto Eco nicht so recht, was er da eigentlich los werden will. Welche Neuigkeiten über den oder einen Faschismus will er uns mitteilen und vor allem wäre zu fragen, was wir denn da neu denken sollen?
Ist der Faschist in einer oder seiner Ur-Gestalt unser ständiger Begleiter, der nur auf seine Stunde wartet, um uns wissen zu lassen, dass wir auf immer und ewig Protofaschisten sind, die sich zwischendurch nur tarnen?
Der Ur-Faschist in gut bürgerlicher Kleidung, aber niemand ruft doch nach einem zweiten Auschwitz, denn dann wäre es ohnehin vorbei mit einer geheuchelten Unschuld.

„Wir müssen ihn entlarven und mit dem Finger auf seine neuen Formen zeigen—jeden Tag und überall in der Welt“—heißt es bei Eco.

Von der Migration des 3. Jahrtausends ist die Rede und Eco fragt, ob wir Europäer noch das Recht haben, uns mit dem eurozentristischen Modell zu identifizieren. Wie meint er das?

Um welch unheilvollen Eurozentrismus soll es denn gehen?

Die Académie Universelle des Cultures in Paris will wissen, dass wir im nächsten Jahrtausend ein großes Gemisch von Kulturen haben werden und wenn sich das nicht umkehrt, so müssten wir uns darauf gefasst machen, dass es dann in Europa wie in New York oder einigen lateinamerikanischen Ländern sein wird. Die Académie führt hier nicht näher aus, wie dieses „Sein“ dann beschaffen sein könnte.

Eco malt das muntere Bild von mit- und nebeneinander koexistierenden Kulturen und alle treffen sich auf der Basis einiger allgemeingültiger Gesetze und einer allgemeingültigen Verkehrssprache des Englischen, das jeder leidlich genug spricht, um sich verständigen zu können.

Das sagt interessanterweise jemand, für den als Literat die Sprache nicht einfach nur ein leidliches Verständigungsmittel ist und man fragt sich, ob er sich der Arroganz dieser Äußerung bewusst ist.

Ob er den Rechtsstaat der Zukunft auch auf ein paar allgemeingültige Gesetze beschränken möchte, ist eine weitere Frage, wobei der in Brüssel angedachte europäische Gesamtstaat aufgrund des Fehlens eines europäischen Gesamtvolkes, eines Souverän, in der Tat ohne Verfassung auskommen müsste und insoweit Künftiges antizipiert.

Eco ist zwar kein ausgewiesener Historiker, aber sehr belesen und viel herumgekommen und man vermisst bei ihm ein paar freundliche Hinweise auf die historischen Folgen von Migrationen, welche in den meisten Fällen in Kriege mündeten. Ein Szenario, wie das stückweise Verschwinden der angestammt autochthonen Bevölkerung hält er jedoch offenbar nicht für so wesentlich.

Ganz im Gegenteil meint er, dass es zwangsläufig so kommen wird, so dies denn kein reaktionärer Nostalgiker und Rassist zu verhindern suche.

Zwischen Immigration und Migration will Eco unterschieden wissen.

Er geht davon aus, dass die meist (Arbeits-) Immigration etwas sei, das sich politisch steuern, begrenzen und kontrollieren ließe.

Nicht so aber die Migration, die er zum Naturphänomen erklärt, das niemand kontrollieren könne.

Migration läge vor, wenn sich ganze Völker auf den Weg machen und es sei in solchen Fällen lediglich relevant, wie das die Kultur des Einwanderungslandes verändere.

Nun ja,–das sehen wir ja gerade recht drastisch trotz weitestgehender medialer Informationsstille.

Von „abgebrochenen“ Migrationen spricht Eco etwa bei Völkern arabischer Herkunft mit Blick auf die Iberische Halbinsel.

Na ja,—so ganz freiwillig hatten sie das nicht abgebrochen!

Immigration sei nur gegeben, wenn die Ankommenden die Lebensweise des Landes annehmen, in das sie einwandern. Migration aber hätten wir dann, wenn die Ankommenden, die niemand an der Grenze aufhalten könne, die Kultur des Landes tiefgreifend verändern.

Das ist eine interessante Theorie, die den Migranten grundsätzlich von jeder Anpassung befreit und die Aufnahmegesellschaft moralisch dazu zwingt, sich bitteschön verändern zu lassen.
So weit hat Michel Huellebecq(20) auch schon gedacht und aus derlei negativer Utopie Romane gemacht, die immer deutlicher mit der Wirklichkeit korrespondieren.

Die Dritte Welt klopfe an die Tür und sie komme herein, auch wenn Europa sie nicht hereinlassen will.
Europa werde ein multiethnischer, ein „bunter“ Kontinent. Ob es uns passe oder nicht spiele dabei keine Rolle.
Wenn uns das gefiele—um so besser. Wenn nicht, wird es trotzdem so kommen.

Immerhin konstatiert Eco, dass das auch blutige Folgen haben kann und dass es sie in gewissem Maße auch geben wird. Sie werden – meint er – unvermeidlich sein und lange anhalten. Die Rassisten seien aber (theoretisch) eine aussterbende Rasse.

Vermutlich ist er davon ausgegangen, dass die Geschichte sie in einem fröhlichen und bunten Bürgerkrieg überrollen wird.

Die römische Zivilisation sei eine hybride Zivilisation gewesen und Rassisten würden wohl sagen, sie sei deshalb zerfallen, aber selbst wenn, dann habe das 500 Jahre gedauert. Ein Zeitraum, der auch uns erlaube, Projekte in die Zukunft zu machen.

„Lieber Umberto Eco“ möchte man sagen, wir hatten doch bislang schon immer Probleme mit den Fünfjahresplänen, völlig systemunanbhängig und kriegen nicht mal unser Müllproblem geregelt, was in Rom erinnerlich (und dauerhaft) auch stets sehr problematisch war und viel Ärger mit sich brachte.

Im Kapitel Intoleranz sieht Eco den Fundamentalismus und den Integralismus als eng verbundene Begriffe und als evidenteste Formen der Intoleranz.

Nun bezeichnet der Integralismus eine religiös motivierte Deutung der Lebenswirklichkeit und wenn diese zugleich in einen politischen Fundamentalismus mündet, ja—dann hätten wir doch aktuell in Europa viel Anschuungsunterricht. Das aber erwähnt Eco mit keiner Zeile!

Ganz im Gegenteil rekurriert er auf einen westlichen Fundamentalismus, der nach seiner Meinung im 19. Jahrhundert in protestantischen Kreisen in den USA entstanden sei mit der Maßgabe, die Bibel wörtlich zu nehmen.

Es folgt dann die interessante Anmerkung Ecos, er übergehe hier die Untersuchung der Natur des muslimischen und jüdischen Fundamentalismus, weil er dies Experten überlassen wolle.

Auf politischer Ebene müsse der Fundamentalismus derweil nicht zwingend intolerant sein und eine Proselytenmacherei(16) betreiben.

Die Frage wäre allerdings, was wir mit einer Religion machen, die garnicht anders kann als politisch sein zu wollen?
Und was ist, wenn der Integralismus, den Eco beschreibt, ganz klar und unmissverständlich seine religiösen Prinzipien in das Modell des politischen Lebens eines Landes implantiert wissen will?

Sind wir dann (bei Duldung) an dem Punkt darauf zu warten, wie sich unsere offenbar nicht sonderlich wertvolle Kultur langsam durch die Migranten mittelalterlich verändert?

Den Rassismus der Nazis nennt Eco totalitär, jedoch nicht fundamentalistisch, weil er sich – so seine Begründung – wissenschaftlich nannte.

Ein nichtwissenschaftlicher Rassismus, wie derjenige der Lega Nor0d(17), habe nicht die gleichen kulturellen Wurzeln, sei aber gleichwohl ein Rassismus.

Jemanden, der wirklich rassistisch diskriminiert wird, was in Europa selten sein dürfte, wird solcherlei Feinsinnigkeit herzlich gleichgültig sein.

Toleranz bliebe leider ein Problem permanenter Erwachsenenbildung, weil man im täglichen Leben ständig dem Trauma der Verschiedenartigkeit ausgesetzt sei.

Der Autor dieser Zeilen findet es keineswegs traumatisch, mit einer täglichen Verschiedenartigkeit konfrontiert zu sein, vor allem wenn es sich um hübsche Frauen handelt, aber so ein Arbeitstag im Großraumbüro kann schon die geringsten Verschiedenartigkeiten zum Problem werden lassen. Diese können auch verstärkt zutage treten, wenn man mit jemandem einen ganzen Urlaub in einem nassen Zelt zubringen muss, was allerdings im Zeitalter der Wohnmobile selten geworden ist. Leider, denn es kann auch verbinden.

Bestimmte Essgewohnheiten können übrigens auch sehr lästig sein und es wäre ja auch zu klären, ob denn jedwede Intoleranz auch zu kritisieren ist.

Schließlich endet sie ja auch nicht immer in einer vom Autor beschworenen Hexenjagd, sondern viel häufiger in Ehescheidungen.

Sie (die Intoleranz) kann sich durchaus auch gegen diejenigen richten, die klassische Musik für Teufelswerk halten oder gelegentlich vermeintlich untreue Frauen verprügeln und steinigen.

Zweifelllos richtig ist die Erkenntnis vom Urgrund jeder Doktrin.

Es gibt immer ein „Zuvor“, ein antizipierendes Element, eine schon alte Polemik oder gar eine Verschwörung.
Es gab schon sehr lange einen „volkstümlichen“ Antisemitismus, der sich in einem bestimmten Umfeld verschärfen kann oder zum Hass entartet.

Warum Eco aber meint, die gefährlichste Intoleranz entstehe ohne jede Doktrin, allein aufgrund elementarer Triebe, erschließt sich nicht so recht, weil es für jede Intoleranz eine Vorgeschichte geben muss.

Diese muss den aktuellen Anlass nicht vorab beschrieben haben, aber sie hatte eine Latenz.

Inwieweit sich Intoleranz, die eine Voreingenommenheit verinnerlicht, korrigieren lässt, dürfte von Fall zu Fall sehr unterschiedlich angelegt sein.

Für Eco war die Intoleranz der Lega Nord gefährlicher als die des Front National(18), was er damit begründete, dass Le Pen immerhin „verräterische Intellektuelle“ hinter sich gehabt habe.
Lega Chef Bossi jedoch nur rohe Triebe.

Das kann man als sehr feinsinnig interpretieren und bleibt mit der Frage nach dem Verratsvergehen ebenso alleine wie mit einer Definition der Roheit von Ansichten, wenn diese zu Trieben werden.

Die Intoleranz gründe auf einem kategorialen Kurzschluss, wenn bei der Aufnahme von 12000 Albanern in Italien ökonomische und demographische Gegenargumente angeführt werden, die damit einem künftigen Rassismus quasi als Leihgabe dargeboten würden.

Im Klartext bedeutet das, dass jedewedes migrationskritische Argument, potenziell und a priori rassistisch konnotiert ist. Zumindest doch nach dieser Lesart. Oder?

Gegen diese „rohe“ Intoleranz können die Intellektuellen nichts ausrichten meint Eco, weil sie vor diesem rein animalischen Denken wehrlos seien.

Zugleich meint er aber, es sei dennoch eine Herausforderung, erwachsene Menschen, die aus ethnischen oder religiösen Gründen aufeinander schießen, zur Toleranz erziehen zu wollen.

Immerhin ist er ja noch Zeuge geworden, wie die Regierungen von Deutschland und Frankreich ihre Bevölkerung dahingehend umerzogen haben, die neuen religiösen Eiferer und Rechtgläubigen als wertvolle kulturelle Bereicherung und Stütze des Arbeitsmarktes zu begreifen. Der Versuch ist nicht geglückt. Seitdem gibt es offenbar ganze Heerscharen von Nazis und Rassisten allenthalben.

Die „rohe Intoleranz“ müsse durch eine permanante Erziehung vertrieben werden, „die schon im zartesten Kindesalter beginnt“, bevor sie zu einer Doktrin gerinnt.

Wie wir wissen , geschieht das zumindest hier sehr wirkungsvoll, durch das nahezu vollständige mediale Ausblenden der migrantischen Kriminalität.

Das hätte ihm vermutlich ganz gut gefallen, denn ein kritischer Blick darauf wäre eurozentristisch und so dürfen die Europäer nicht denken, denn sie sind Schuldige auf ewig und immer.

Eco spielt auf den Vertrag von Nimwegen in den Jahren 1678 – 1679 an, wo man entschlossen war, eine ganze Reihe von Kriegen zu beenden, so dass die Stadt zu einem Ort der Begegnung wurde. Nach dem 30jährigen Krieg, ein erstes Bemühen Frieden durch Dialog zu erreichen.

Mehr als 250 Jahre später seien die Kriegsgreuel in Europa fast Geschichte und der Friede für die jungen Menschen eine Selbstverständlichkeit.

Seit 1945 habe sich – so Eco – fast jeder Europäer (vermutlich ohne es zu merken?) als Angehöriger derselben Kulturgemeinschaft gefühlt, trotz aller unvermeidlich sprachlicher und kultureller Unterschiede.
Haben sie das? Wie war das eigentlich noch mit dem Balkan-Krieg?

Haben sich die besiegten Nachkriegsdeutschen nicht viel lieber als kleine Amerikaner gefühlt?

War nicht zuvor in einem Kapitel die hoffnungsvolle Rede von einem bunten Europa, wo alle leidlich Englisch sprechen, während in der zweisprachigen Generation (der Studierenden natürlich!), die gelegentlich auch untereinander heiratet, wie angemerkt wird, sich die Vorstellung verbreitet, Europäer zu sein.

Und die nur leidlich Englisch sprechenden? Was meinen die eigentlich so zum Gesamtgeschehen zwischen der EU-Zentrale, der Werkbank und dem Urlaub „auf Malle“?

Interessant ist Ecos Verhaltensvergleich zwischen Europäern und Amerikanern bei dem erdachten Konstrukt einer Attacke auf die Kirche Notre Dame in Paris (er konnte nicht ahnen, dass sich so etwas in anderer Form ereignen würde) anstatt auf die Zwillingstürme des WTC in New York.

Es hätte uns – meint er – sicherlich tiefe Bestürzung gepackt, aber ohne das Gefühl unerklärlicher Überraschtheit, verzweifelter Ungläubigkeit und krankhafter Depression, das die Amerikaner ergriff.

Unsere Tragödien hätten uns weise und abgebrüht gemacht und so seien wir besser darauf vorbereitet, dem Horror zu begegnen.

Wir suchen den Frieden, weil wir zu viele Kriege erlebt haben.

Hier macht sich bei der Lektüre eine gewisse Fassungslosigkeit breit, hat man es doch immerhin mit einem sehr belesenen Kulturtheoretiker zu tun.

Es ist dann wohl so, dass wir bestimmt gewusst hätten, warum jemand in den Turm der Notre Dame geflogen wäre und es hätte uns auch kaum überrascht, weil wir vermutlich auf eine Vergeltung für unsere fortgesetzten Untaten getippt hätten.

In eine „krankhafte Depression“ wie die Amerikaner, wären wir natürlich schon garnicht verfallen.
So depressiv erschien mir deren nicht so klug vorbereitete Vergeltung übrigens nicht!

Eco unterstellt den Europäern einen unsichtbaren Krieg gegen all diejenigen, die sie als nicht zugehörig sehen, aber er fragt nicht, ob die als „Extra-Communitäre“ gesehenen sich denn selbst als zugehörig begreifen wollen oder lieber in Gegengesellschaften mit eigener Rechtsprechung leben wollen.

Auch sei der wachsende Antisemitismus keine marginale Krankheit.

Ja,-ist er denn flächendeckend, lieber leider nicht mehr unter uns weilender Umberto Eco?

Die hierin enthaltene Behauptung, es gäbe unter den europäischen Völkern einen nennenswerten und daher aufwändig zu bekämpfenden Judenhass, ist bar jeder empirischen Grundlage und zugleich in hohem Maße diffamierend!

Allerdings hat Europa durch die muslimische Migration den überwunden geglaubten Judenhass massenhaft importiert.

Dies ist die einzig plausible und sich logisch erschließende Erklärung!
Das Gespenst einer tausendjährigen Obsession geht unter uns nicht um u. zw. auch dann nicht, wenn ein paar Idioten den Hitler-Gruß zeigen.

Es gibt ernsthaft niemanden (u.zw. in keiner der im Bundestag vertretenen Parteien), der einen Führerstaat proklamiert, rassisch Minderwertige eliminieren will und Europa in ein Kriegsabenteuer zu führen gedenkt!

Niemanden!

Es ist allerdings eine Obsession, ein faschistisches Gespenst in einer Art von Dauereinsatz zu bemühen, um den Menschen einzureden, sie bedürften einer täglichen Teufelsaustreibung, um der sie ständig bedrohenden Versuchung nicht zu erliegen.

Eco meint allerdings auch, es gebe so etwas wie eine Grenzlinie der Intoleranz, weil es so etwas wie ein europäisches Erbe gebe, auf das wir nicht verzichten wollen.

Was jedoch in einer toleranten Weltsicht als intolerabel gelten kann, müssten wir jeden Tag neu aushandeln.
Das hörten wir vor ein paar Jahren (auch) von einer Frau Aydan Özoguz(19) im Deutschen Bundestag, die von einem täglichen Neuaushandeln unseres Kulturvertrages sprach, aber sie hatte dabei nicht wie Eco Aristoteles zitiert, der meines Wissens aber vom Sinn für Gerechtigkeit gesprochen hatte.

Was meint Eco mit Experimenten in reziproker Ethnologie?

Zwischen dem Wunsch des Verstehens und dem Bedürfnis nach Missionierung durch den sich zivilisationsstiftend in Szene setzenden weißen Mann, habe sich eine Kaste modernen Kulturanthropologie gebildet, die sich für fähig hielten, den „Anderen“ zu verstehen.

Da ist zweifellos etwas dran, verschweigt jedoch den überall auf der Welt sehr ähnlichen Wunsch nach einer friedlichen Gesellschaft in einem Wohlstand nach westlichem Vorbild.

Welches andere Modell könnte denn noch attraktiv sein? Ein Gottesstaat vielleicht, wenn er wenigstens friedlich wäre?

Eco erwähnt das von ihm begründete Projekt „Transcultura“ im Zusammenhang mit einer europäischen Sicht auf den „guten Wilden“, dessen Kultur, durch den Filter der Interpretation des westlichen Ethnologen gesehen, sich selbstverständlich nicht erschöpfend erschließt.

Die von ihm nach Bologna eingeladenen Gäste aus teilweise exotischen Ländern, seien kultivierte Leute gewesen, die einen Erfahrungsaustausch gesucht hätten und z.T. zum ersten Mal in Europa waren.

Sicher sei dabei keine „unermessliche Distanz mit dem fernen Blick“ entstanden.

Der sich einschleichende Rassismus sei die pathologische Form einer natürlichen Reaktion auf Andersartigkeit. Er entstehe aus Nähe, aus enger Nachbarschaft zu jemandem der uns gleicht.

Rassismus entstehe aus einem „Beinahe“ und speise sich aus ihm.

Das ist – vorsichtig ausgedrückt – ein wenig verwirrend.

Das „Beinahe“ speise zugleich die Fähigkeit, Diversität zu erkennen, zu beschreiben und zu rechtfertigen.

Schon in der nur 50 km entfernten Stadt sieht Eco einige mögliche Unterschiede auftauchen, die wir empfänden und gelegentlich als Mangel oder charakterliche Deformation interpretieren.

So wild sind die überregionalen Hasselemente aber nun doch wieder nicht angelegt, könnte man geltend machen, aber man sollte vielleicht in einem kleinen Ort mit gerade mal 600 Einwohnern keine 100 kulturfremden Migranten unterbringen, weil das zu gegenseitiger Verstörung führt.

Auch die von Eco angeführte und z. T. sehr unterschiedliche Methode, etwa Spaghetti zu essen, hat bisher nicht zu Bürgerkriegen geführt und kann getrost vernachlässigt werden.

Der Mensch begegnet dem Kuriosen eher mit einer gewissen Gelassenheit und manchmal mit Häme, jedoch ganz sicher ohne Ur-Faschismus.

Wir betrachten unsere kulturellen Unterschiede in der Regel pragmatisch und mit etwas Bildung auch historisch.
Das geht so lange ganz gut, wie niemand auf die Idee verfällt, die Anderen bekehren zu wollen oder ihnen vorschreiben will, wie sie ihren Alltag zu organisieren haben.

Die europäische Verbotskultur trifft sich allerdings mit ihren sadomasochistischen Untertönen gelegentlich mit der orientalischen, wenngleich diese eher nicht lächerlich, sondern grausam ist.

Die reziproke Ethnologie ist in alltäglicher unwissenschaftlicher Anwendung befindlich. Jeder sieht den Anderen wie er ihn sehen kann und sehen will.

Reine Boshaftigkeit dürfte selten sein.

Unser Ur-Vertrauen kennt auch ein Ur-Misstrauen, dem schwer beizukommen ist. Es ist wohl wie mit dem Bauern, der nicht isst, was er nicht kennt.

Eine Vorsicht gegenüber dem Anderen mag unbegründet sein, aber in ihr wohnt kein Ur-Faschismus. Wird sie zur Angst, dann ist sie begründet oder eine Obsession. Für den letzteren Impuls gibt es Psychologen und eher keine politische Umerziehung.

So furchtbar unterschiedlich ist die menschliche Weltsicht garnicht, wenn es um das geht, was wir Wohlstand nennen. Unterschiedlich ist sie allerdings in Bezug auf die Frage, wie man ihn erzeugen sollte.

Disziplinierte Arbeit und Erfindergeist sind eine bewährte Methode, aber zugleich sehr unbequem.

Etwas bescheidener kann man leben, wenn man vom eigenen oder vom Gastland dauerhaft alimentiert wird. Man muss dann nur entscheiden, ob man bereit ist, auch etwas zurück zu geben.

Eine Kultur dauerhaft als feindlich zu begreifen, die einen im Grunde ernährt und medizinisch betreut, ist sicher möglich, aber absurd.

Sich auf den Anderen einzulassen ist dagegen eine schöne Tugend, die durchaus erfolgreich sein kann, wenn man es wenigstens so macht wie mit dem „leidlich Englisch sprechen“, als einer Voraussetzung für einen Minimalkonsens in Europa. Wenn man sich leidlich anstrengt, die geltenden Gesetze nicht leidlich ersetzen will und keine unleidlichen Communitys bildet, dann ist es leidlich auszuhalten und vielleicht auch ein wenig Platz für die Harmonie des von Eco zitierten Zhao Tingyang(21).

Abgesang:

Umberto Eco ist wie schon erwähnt ein sehr belesener, auch mit historischen Kategorien durchaus vertrauter Literat und er war ein Zeitgenosse, den ich immer als einen der letzten umfänglich gebildeten Geister gesehen habe.

Das kleine Buch ist ja eine Zusammenstellung von Reden und Aufsätzen und nach seinem Tode entstanden. Man kann natürlich nicht wissen, wie Eco hinzukommende Phänomene im gesellschaftlichen Kontext interpretiert hätte.

Er kann sich gegen keine Kritik mehr wehren und ich sage bei all meiner Kritik, dass ich das bedauere. Er fehlt uns als ein streitbarer Geist und ich habe seinen Humanismus stets für ehrlich und aufrichtig gehalten.

Umberto Eco – Der Ewige Faschismus

Hanser-Verlag

ISBN: 978-3-446-26576-0


 

Fußnoten:

  1. Antonio Gramsci: 1891-1837 Ital. Publizist u. Marxistischer Philosoph (Gefängnishefte zu unterschiedlichen gesellschaftl. Themen)
    Hatte einen bedeutenden Einfluss auf die internationale marxistische Theoriebildung und Bewegung
  2. Giacomo Mateotti: 1885.1924 Ital. Politiker u. Vorübergehend Generalsekretär der Sozialistischen Partei
  3. Carlo Rosselli: 1899-1937 Ital. Politikwissenschaftler, Historiker und Publizist / Spanien-Kämpfer / Antifaschist (ermordet mit seinem Bruder)
  4. Ludwig Wittgenstein: 1889-1951 Österreichischer Philosoph. Arbeiten zu Kant, Russel und Freud, sowie: „Philosophische Untersuchungen“
    „Über Gewißheit“/“Tractatus logico-philosophicus“/“The Blue and the Brown Books“/“Philosophische Grammatik“ u.a.
  5. Ezra Pound: 1885-1972 Literaturwissenschaftler / Dichter der Moderne / unterstützte später den ital. Faschismus / „The Cantos of Ezra Pound“
    „In a Station of the Metro“/“Poems“/“Make it New“/“ABC des Lesens“/“Personae“ u.a.
  6. Julius Evola: 1898-1974 Kulturphilosoph und Esotheriker /methaphysische Rassentheorie und Futurismus / „Revolte gegen die Moderne“
    „Den Tiger retten“/“Heidnischer Imperialismus“/“Menschen inmitten von Ruinen“/“ The Hermetic Tradition“ u.a.
  7. Heiliger Gral: Legende um die König-Artus-Sage
  8. Protokolle der Weisen von Zion: Auf Fälschungen beruhendes antisemitisches Pamphlet jüdischer Weltverschwörung
  9. Joseph de Maistre: 1753-1821 Savoyischer Staatsmann, Schriftsteller u. Philosoph / Verteidigte das Ancien Regime gg.d. Idee d. Aufklärung
  10. René Guérnon: 1886-1951 Franz. Schriftsteller u. Metaphysiker / Begründer der traditionalistischen Schule / „The Crisis of the Modern“
    „Der König der Welt“/“East and West“/“Die Symbolik des Kreuzes“/“Perspectives on Initiation“ u.a.
  11. Augustinuns von Hippo: 354-430 Numidischer Kirchenlehrer, Lehrer u. Prof. in Mailand / Redner Bzw. Regierungssprecher / später Bischof
  12. Stonehege: Jungsteinzeitlicher Steinkreis im Süden Englands / Bislang ohne eindeutige Zuweisung /Größter Steinkreis Europas
  13. 1789: Französische Revolution
  14. Bach-Kantate bwv 82 / „Ich freue mich auf meinen Tod“
  15. Ernest Bornemann: Bedeutender Antropologe und Sexualforscher / „Die Ur-Szene“ /“ Das Patriarchat“ u.a.
  16. Proselyten: Abwertende Bezeichnung für die Abwerbung von Gäubigen ohne Bekehrung
  17. Lega Nord: Regionalistische und separatistisch formierte konservative ital. Partei
  18. Front National: Aktuelle Bezeichnung: Rassemblement National. Patriotisch-national-konservativ formierte französische Partei
  19. Aydan Özoguz: Sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete / von Dez.2013-März 2018 Beauftragte für Migration u. Flüchtlinge
  20. Michel Huellebecq: Gesellschaftskritischer frenmzösischer Romancier /u.a. „Plattform“/“Serotonin“/“Unterwerfung“/“Elementarteilchen“
  21. Zhao Tingyiang: Bedeutender chinesischer Philosoph der Gegenweart / Überlegungen zu einer neuen Weltordnung / „Alles unter dem Himmel“