Der Spiegel: Am Abgrund –
Eine Antwort von Michael Mansion

Unter der Überschrift „Am Abgrund[Vorschau] veröffentlichte Der Spiegel in seiner Ausgabe Nr. 38/2019 einen Beitrag von Romain Leick, in welchem dieser den Versuch unternimmt, die Frankfurter Schule in Dienst für eine aus seiner Sicht gute Sache zu nehmen, worunter er die Katastrophenverhinderung versteht.

Wir befinden uns – so der Autor – in einer Welt, die der ähnelt, die von den Frankfurter Theoretikern so scharf kritisiert wurde.

Hier ist man geneigt, auf eine Kritik an zunehmender Entfremdung, Vereinzelung und Verunsicherung im globalisierten Kapitalismus zu warten, aber der Autor befürchtet den Zusammenbruch der multikulturellen und liberalen Gesellschaft. Dies verwundert; denn die gesellschaftliche Wirklichkeit ist die einer weitestgehend monokulturellen, deren Liberalismus eher so etwas wie eine Form von unbeschwerter Lebensart derjenigen ist, die es für selbstverständlich halten, heute in Paris und morgen in Nairobi zu sein und ihre Kinder auf Eliteschulen schicken.

Das kann man weltoffen nennen oder auch einfach nur privilegiert oder dekadent und das Gegenteil hiervon ist für den Autor jener autoritäre Charakter, der heute in der Gestalt populistischer Führer wiederaufersteht und nach Adorno eine Person ist, die, „besessen vom scheinbar offensichtlichen Abstieg traditioneller Werte„, unfähig, sich mit Veränderungen abzufinden, eingeschlossen in einen Hass auf all jene, die nicht als Teil der In-Group empfunden werden…….., Traditionen gegen Entartung verteidigt.

Da hätten wir ihn dann, den Leitbegriff Entartung, den zwar bislang kein noch so scharfer Kritiker der Merkel-Doktrin je angewandt hat, aber er taugt allemal, um sich aktuell gegen Fakten in Stellung zu bringen, die zwar offensichtlich sind, jedoch weniger feinfühlig adornierend aktuell als Rechte Hetze daherkommen.

Nachstehend der Versuch einer angemessenen Antwort:

Zu Romain Leick:
Zurück am Abgrund
Spiegel Nr. 38 v. 14.09.19


 

Sehr geehrter Romain Leick,

das – oder sagen wir besser – eines der Probleme der marxistischen Theorie besteht wohl ganz simpel in der Tatsache, dass sie sowohl im philosophischen, als auch im ökonomischen Denkraum angelegt ist.
Ihr durchaus utopischer Charakter und der leider unumstößliche Fakt, dass der Tod Herrn Marx das Schreibwerkzeug zu früh aus der Hand genommen hat, lässt Raum für eine Reihe von Spekulationen und dies wohl weltweit.

Mit einiger Sicherheit dürfen wir nach den bisherigen Erfahrungen davon ausgehen, dass der Marxismus zumindest eines nicht sein kann und sollte — eine Staatsdoktrin. Damit ist er etwas überfordert.
Sein Inhalt ist zweifellos Frucht revolutionären Denkens im besten Sinne des Wortes, aber seine Revolutionstheorie ist eher fragmentarisch.
Schon Rosa Luxemburg vermerkt nach dem Studium von Band 2 von „Das Kapital“:
ihr vermittele sich eine seltsame Unfertigkeit.

Es gab aber immer schon einen gewissen „Interferenzraum“,
der von der „Frankfurter Schule“ nachhaltig befeuert wurde.

Deren mehrheitliches Unbehagen an jedwedem Revolutionsgetöse, war in einem dialektischen Sinne bedeutsam, weil es ihrer z.T. unterschiedlichen Marx-Exegese einerseits und einem Misstrauen in die mögliche Praxis andererseits geschuldet war, welche sie z.B. in der Sowjetunion scharf kritisierten.
Die Kritik von Georg Lukács (an ihnen), ist so richtig wie zugleich problematisch, um es mal vorsichtig auszudrücken; denn die Erkenntnis wäre ja nicht so neu, dass nur eine funktionierende Komfortzone dem Denken einen Raum gewährt, weil es ansonsten mit seiner eigenen Existenzsicherung vollauf beschäftigt ist.

Was jedoch den angesprochenen Tonfall der aktuellen „grünen Prediger“ angeht, so ist deren Sichtweise alles, jedoch in keinem Falle marxistisch intendiert.
Sie und ihre Anhänger haben eine ganz wesentlich phänomenologische Sicht auf sich und die Welt. Dies führt dazu, dass sie bestimmte Phänomene aufgreifen und daraus Leitmotive erstellen, die keine „Befreiung aus dem Falschen“ in Gestalt von Entfremdung und Fetischismus sein können, weil diese Phänomene bei ihnen selbst eine Hypostasierung und Fetischisierung erfahren, jedoch keine gesellschaftliche Kausalität im Hinblick auf eine erkannt notwendige Veränderung des „Ganzen“.

Ich bin relativ sicher, dass die gesellschaftstheoretische Ferne, mit der aktuell reussiert wird, auch dem Umstand geschuldet ist, dass die Soziologie längst keine öffentliche Wissenschaft in Sinne einer Relevanz mehr ist.
Das Niveau, auf dem in den 70er Jahren gestritten werden konnte, wird nicht mehr auch nur ansatzweise erreicht.

Der angeführte „autoritäre Charakter“, den Sie in ihrem Beitrag ausführen, um ihn als einen solchen zu beschreiben, der in der Form populistischer Führer aufersteht und „besessen ist vom scheinbar offensichtlichen Abstieg traditioneller Werte, unfähig sich mit Veränderungen abzufinden, eingeschlossen in einen Hass auf all jene, die nicht als Teil der In-Group empfunden werden, um die Tradition gegen Entartung zu verteidigen“, vermittelt sich für mich aktuell eher im Verhalten der politisch-medialen Klasse.

Da diejenigen, die Adorno meinen konnte, längst tot sind, wie wohl er nicht umsonst von Entartung spricht und damit in seinem Vokabular ganz unzweideutig im Verweis auf etwas, das nicht beliebig daher kommen kann in Zeiten inflationärer Begriffsumdeutungen, haben Sie in ihren Ausführungen wohl eher an diejenigen unter den Lebenden gedacht, die gewisse „Veränderungen“ der aktuellen Lebenswirklichkeiten eher kritisch sehen, zumal diese sich nicht zufällig ereignet haben, sondern Ausdruck eines politischen Willens der herrschenden sog. Eliten sind, was man in einer Demokratie nicht zwingend gut finden muss. Dies vor allem dann, wenn man den eigenen Standpunkt gut begründet und mit ihm auch nicht in einer verschwindend kleinen Minderheit verloren geht.

Eine Berufung auf Fakten, also eine Faktizität, wäre den Adepten der „Frankfurter Schule“ nicht all zu schwer gefallen.
Es wäre ihnen auch eher nicht in den Sinn gekommen, Kritik grundsätzlich dann als pathologisch zu denunzieren, wenn diese einem vielgesichtigen, jedoch tendenziell biedermeierisch-moralisierenden Mainstream entgegensteht, dessen diverse „Leuchtturmprojekte“ diskursvermeidend angelegt, im wesentlichen unwissenschaftlich begründet und medial in eine weltrettende Vorreiterrolle lanciert werden.

Der in der Tat pathologische Hass der Nazis auf Juden, Linke und Andersdenkende, findet mehr und mehr seine Entsprechung in ehrabschneidender Verleumdung auch all derjenigen, die als nachweislich linke Intellektuelle (ich meine Leute, die marxistisch denken können und keine Grünen!) bislang nicht wie Chip Lambert zu tragischen Figuren in einem Roman von Jonathan Franzen geworden sind, aber zu einer speziellen und offenbar unliebsamen Spezies, die im „Spiegel“ unter die Rubrik „Trolle“ fallen, während man bei der EU-Gerichtsbarkeit an einem Gesetz arbeitet, das Kritik am Islam (von Religionskritik ist die Rede aber gemeint ist der Islam natürlich) unter dem Banner der Antidiskriminierung verbieten will.

Ein ganz wesentlicher Aspekt der Aufklärung, die Religionskritik, gerät unter Verdacht.

Auch die bislang unbestrittene Zweigeschlechtlichkeit ist unter Verdacht geraten, wogegen sich dann zum Entsetzen der Qualitätsmedien erneut die neurechten Modernisierungsverweigerer und emeritierten Trolle zu Wort melden.

Was dazu wohl die alten Frankfurter gesagt hätten? Zumindest die Werte der Aufklärung hätten sie zu verteidigen gewusst.
Bei Jürgen Habermas habe ich ein paar Bedenken, denn es wäre zu erwarten gewesen, dass er sich schützend vor einige seiner Kollegen stellt. Da er noch zu den Lebenden gehört, wäre sein Wort zumindest gehört worden.

Ein Zurück zum faschistischen Abgrund wird es trotz aller Beschwörungen eines sich angeblich inflationär ausbreitenden Rechtsradikalismus (grundlos 70{18423f3510016d69a38748c31b9d3c63e55e56caeb597c341a8ea176480d5299} in drei Jahren) und eines grassierenden Rassismus (der Spiegel) nicht geben. Solche Unterstellungen werden im amerikanischen Polit-Jargon als Bullshit definiert.

Offen bleibt allerdings, was passieren wird, wenn sich die von der Bundesregierung so engagiert betriebenen „Leuchtturmprojekte“ als unangemessene Geldverschwendung erweisen, welche diesem Lande schweren und nicht wieder gut zu machenden Schaden zufügen werden.

Dies zumindest ist vorhersehbares Ungemach. Über den Rest kann man spekulieren oder nach Außerirdischen suchen.

Beste Grüße

 

Michael Mansion